Marco Wetzel und Jörg Botti sitzen gut gelaunt im Gespräch an einem Tisch

Herr Botti, Herr Wetzel, seit Juni 2023 bilden Sie beide die Hauptgeschäftsführung der BG ETEM. Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die nächsten Jahre?

Jörg Botti: Das war tatsächlich einer der ersten Punkte, als wir neu in der Verantwortung waren, dass wir beide uns zusammengesetzt und überlegt haben, was unsere strategischen Ziele sind für die BG ETEM. Dabei war es uns wichtig, unsere Ideen danach mit unseren Führungskräften zu diskutieren und gemeinsame Ziele festzulegen. Dann haben wir ein großes Online-Event gemacht für alle Mitarbeitenden und unseren Plan auch dort vorgestellt: Unsere Strategie steht auf den Säulen Wirtschaftlichkeit, Qualität und Mitarbeiterzufriedenheit. Wir wissen um das Thema Sozialversicherungskosten in Deutschland und deshalb ist es für uns wichtig, dass wir auf stabile Beiträge achten und wirtschaftlich und nachhaltig handeln. So ist es uns in diesem Jahr wieder gelungen, den Beitrag leicht zu senken, obwohl wir gleichzeitig Rücklagen bilden für Ausgaben, die wir in Zukunft haben werden.

Was sind aktuelle Herausforderungen für die BG ETEM und für Berufsgenossenschaften allgemein?

Marco Wetzel: Allgemein haben alle die gleiche Herausforderung: demografischer Wandel und Fachkräftemangel. Die andere große Herausforderung ist die Digitalisierung. Das heißt, es gibt klare Erwartungen von außen, von unseren Mitgliedsbetrieben und von den Versicherten, dass wir digitale und effiziente Prozesse haben. Zum Glück ergänzen sich Demografie und Digitalisierung ganz gut. Wenn es uns immer schwerer fällt, Beschäftigte zu finden, hilft uns die Technik dabei, unsere Arbeit zu bewältigen. Wir haben also gar keine andere Alternative, als die Tätigkeiten, die wir automatisieren können, auch zu automatisieren. Nur so bleibt genug Zeit für die Tätigkeiten, die nur ein Mensch machen kann. Wenn es zum Beispiel darum geht, einen Versicherten, der einen schweren Unfall hatte, zu betreuen und ihn in der Reha zu begleiten. Oder wenn es darum geht, in einem Betrieb den Unternehmer zu beraten, wie er Arbeitssicherheit noch besser umsetzen kann. Aber eben nicht alles, was wir machen, müssen Menschen machen. Und von daher müssen wir digitalisieren, um auf der anderen Seite persönlich betreuen zu können.

Demografischer Wandel und Fachkräftemangel sind natürlich Themen, die fast alle Unternehmen in Deutschland beschäftigen. Was können Arbeitgeber tun, damit ihre Beschäftigten möglichst lange gesund arbeiten können?
Und wie hilft die BG ETEM dabei?

Jörg Botti: Tun sollte man das, was immer angezeigt ist: für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Also die Gefährdungen analysieren, die an den verschiedenen Arbeitsplätzen vorliegen, und Maßnahmen ableiten, wie man diese Gefährdungen in den Griff bekommt. Und wir unterstützen dabei, indem wir beraten und Praxishilfen veröffentlichen. Wir sind in den Betrieben aktiv und zeigen, was einen sicheren Arbeitsplatz ausmacht und wie die Unternehmen handeln können.

Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass nicht jeder Beruf gleich gut geeignet ist, ihn bis ins hohe Alter zu machen. Jemand, der auf Dächern Solaranlagen montiert, tut sich mit Mitte 60 bestimmt schwerer als jemand, der im Büro arbeitet. Bei Arbeitsschutz und Gesundheit geht es immer darum, Unfälle und Erkrankungen möglichst zu verhindern. So bleiben Arbeitnehmer länger gesund und können auch länger arbeiten. Am besten funktioniert das übrigens nach unserer Erfahrung, wenn man das Thema gemeinsam mit den Beschäftigten angeht.

Porträt von Jörg Botti in Interviewsituation

Was tut die BG ETEM selbst, um Fachkräfte zu finden und zu binden?

Jörg Botti: Wir sind sehr aktiv auf Social Media oder Messen. Wir merken natürlich schon, dass es gerade in Ballungszentren immer schwieriger wird, Beschäftigte zu gewinnen. Deshalb versuchen wir auch, die Arbeit selbst noch attraktiver zu machen. Eine Möglichkeit ist, jungen Menschen, die das möchten, Verantwortung und Entwicklungschancen zu geben. Denn die Generation, die jetzt anfängt, die möchte auch Verantwortung übernehmen. Deshalb versuchen wir, unseren Beschäftigten verschiedene Wege innerhalb der BG ETEM zu öffnen. Sie können zum Beispiel frühzeitig in abteilungsübergreifenden Projekten mitarbeiten. Damit haben wir guten Erfolg.

Marco Wetzel: Es ist auf jeden Fall wichtig, Mitarbeitenden Entwicklungschancen zu bieten. Nur so ist man ein attraktiver Arbeitgeber. Was wir jetzt auch eingeführt haben, ist ein Förderprogramm, in dem wir Masterstudierende unterstützen. Ein duales Studium mit Bachelorabschluss bieten wir ja schon an. Jetzt können sich junge Kolleginnen und Kollegen bewerben, die einen Masterabschluss machen wollen und bekommen ihn dann eventuell von uns gefördert.

Porträt von Marco Wetzel in Interviewsituation

Wenn ein Teil der Arbeitskräfte wegfällt, muss man stärker auf Unterstützung durch moderne Technik setzen. Wie groß ist aus Ihrer Sicht das Potenzial von Künstlicher Intelligenz bei der BG ETEM?

Jörg Botti: Wir beschäftigen uns hier bei der BG ETEM ja schon sehr lange mit dem Thema Künstliche Intelligenz. Wir haben kleine Projektgruppen aus KI-Experten und Praktikern gebildet, in denen gerade am Anfang auch mal experimentiert werden konnte, was bei uns funktioniert und was nicht. Damit haben wir den Ansatz weiter professionalisiert. Mit dieser Herangehensweise haben wir gute Erfahrungen gemacht.

Und wir haben heute bereits mehrere Bereiche innerhalb der BG ETEM, wo uns KI hilft, Entscheidungen besser zu treffen. Im Bereich des Reha-Managements unterstützt uns KI zum Beispiel dabei, die Versicherten zu identifizieren, die einen speziellen Bedarf haben und wo wir schnell tätig werden müssen. Wo wir die Rehabilitation also genau planen und steuern müssen. Bei über 60.000 Unfällen pro Jahr benötigen wir hier Unterstützung, deshalb setzen wir KI ein.

Ein anderes Beispiel ist die Planung der Besuche von unseren Präventionsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in den Betrieben. Hier müssen wir die Betriebe risikoorientiert auswählen. Also die Unternehmen, die ein höheres Gefährdungspotenzial haben, wo wahrscheinlich mehr passiert, da müssen wir häufiger hin. Und bei dieser Entscheidung hilft uns wiederum KI.

Bei diesen Beispielen ist ganz wichtig zu wissen, dass die KI die Entscheidung unterstützt, aber nicht selbst entscheidet. Das macht bei uns der Mensch.

Marco Wetzel: Das zweite große KI-Thema ist Automatisierung. Wir haben viele händische Tätigkeiten: Wenn zum Beispiel ein Unfall passiert, wird der heute noch händisch bei uns erfasst, ein Vorgang angelegt, bestimmte Statistiken gefüllt. Das sind alles Tätigkeiten, bei denen wir von der manuellen Verarbeitung wegkommen müssen, damit sich unsere Mitarbeitenden auf andere Tätigkeiten konzentrieren können, die nicht so einfach automatisierbar sind.

Was würden Sie jemandem erwidern, der die Einführung dieser Technik kritisch sieht?

Jörg Botti: Es gibt einen ethischen Rahmen für die Anwendung von KI, den hat eine Arbeitsgruppe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales entwickelt mit Beteiligung von Vertretern der Sozialversicherung. Da steht zum Beispiel drin, dass KI transparent sein muss, also dass wir erklären können müssen, warum wir zu bestimmten Entscheidungen kommen. Wir können also nicht sagen: „Die KI hat enschieden, keine Ahnung, wie sie zu dem Ergebnis gekommen ist.“ Immer dann, wenn es um rechtliche Entscheidungen geht, die wir treffen, muss klar sein, warum wir so entscheiden. Denn dagegen kann man Widerspruch einlegen, das kann man auch vor Gericht überprüfen lassen. Und deshalb muss ganz klar sein, warum wir diese Entscheidung so getroffen haben.

Es gibt weitere Regeln, zum Beispiel dass die KI menschenzentriert sein muss, außerdem vorurteils- und diskriminierungsfrei. So wird verhindert, dass zum Beispiel Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung schlechter behandelt werden.

Wie steht es um die Akzeptanz bei Beschäftigten, gibt es hier Sorgen um den Arbeitsplatz?

Marco Wetzel: Wir haben eines unserer KI-Projekte wissenschaftlich begleiten lassen. Eine Kollegin hat ihre Bachelorarbeit darüber geschrieben und eine Umfrage unter allen Mitarbeitenden gemacht, die mit der KI gearbeitet haben. Die Rückmeldungen waren tatsächlich fast ausschließlich positiv. Das zeigt uns, dass wir richtig liegen und auch kzeptanz bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern finden. Durch die Automatisierung werden natürlich irgendwann einmal Arbeitsplätze wegfallen, das stimmt. Allerdings wissen wir ja schon jetzt, dass wir die Beschäftigten, die zum Beispiel aus Altergründen aufhören, gar nicht mehr vollständig ersetzen können. Es wird also niemand deswegen seinen Arbeitsplatz verlieren.

Viele Unternehmen in Deutschland finden die Abgabenlast zu hoch. Wie versucht die BG ETEM, den Mitgliedsbeitrag möglichst gering zu halten? Gerade im Gesundheitswesen sind die Kosten ja zuletzt stark gestiegen.

Marco Wetzel: Wie sich die allgemeinen Kosten im Gesundheitswesen entwickeln, können wir natürlich nicht beeinflussen. Aber die Kostensteigerung sehen wir natürlich auch. Was wir aber machen können, ist ein gutes Reha-Management. Wenn wir das Reha-Verfahren so gut steuern, dass die Versicherten schneller und besser rehabilitiert sind, dann haben wir weniger Ausgaben. Das ist ein wichtiges Steuerungsinstrument und es ist unsere Aufgabe, das im Blick zu behalten. Denn circa zwei Drittel aller unserer Ausgaben sind Ausgaben im Bereich Rehabilitation und Entschädigung.

Ein anderer Punkt, an dem die Wirtschaft viel Kritik übt, ist die Bürokratie. Auch für die Berufsgenossenschaften müssen viele Dinge dokumentiert werden. Wie kann man Betriebe hier entlasten? 

Jörg Botti: Wo sich Dokumentationserfordernisse aus gesetzlichen Verpflichtungen ergeben, da können wir nicht sagen: „Ihr müsst das nicht mehr liefern.“ Eine Unfallanzeige brauchen wir zum Beispiel, um damit arbeiten zu können. Aber der Weg, wie die Informationen zu uns kommen, das haben wir natürlich im Griff und da arbeiten wir dran, dass das einfacher und digitaler wird.

Ich glaube, da sind wir Berufsgenossenschaften auch etwas weiter als andere Verwaltungen. Gerade Anfang des Jahres haben wir ein großes gemeinsames Serviceportal umgesetzt, das eine Reihe von digitalen Services für die Mitgliedsbetriebe anbietet. Manchmal ist es hilfreich, dass wir, das muss man ja ehrlich zugeben, ein etwas kleineres System sind als andere Zweige der Sozialversicherung. Und das erlaubt eben auch mehr Schnelligkeit, das merkt man dann an solchen Beispielen.

Mit der sogenannten Vision Zero hat sich die Unfallversicherung ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. Wie realistisch ist eine Welt ohne Berufskrankheiten oder Berufsunfälle?

Jörg Botti: Also die Vision Zero bedeutet ja eine Welt ohne schwere und tödliche Arbeitsunfälle und Berufserkrankungen. Das bedeutet nicht, dass gar nichts mehr passiert. Und wenn mich einer fragt, warum setzt man sich ein Ziel, das man vielleicht nur schwer erreichen kann, dann muss ich die Gegenfrage stellen: „Wenn das nicht realistisch ist, wie viele schwere und tödliche Unfälle wollen wir denn akzeptieren?“ Wir können gar kein anderes Ziel haben, als unseren gesetzlichen Auftrag, alle tödlichen und schweren Unfälle mit allen geeigneten Mitteln zu verhindern. Außerdem bin ich da auch gar nicht so pessimistisch. Wenn ich zum Beispiel sehe, was an Assistenzsystemen schon absehbar ist oder im Bereich Robotik, dann stellt sich die Frage, ob in 20 oder 30 Jahren wirklich noch Menschen in sehr gefährlichen Umfeldern arbeiten müssen.

Porträt von Jörg Botti, der  in Interviewsituation am Tisch gestikuliert

Die Zahl von Arbeitsunfällen und Berufserkrankungen verharrt in den letzten Jahren auf einem Plateau. Deshalb ist das Thema „Kultur der Prävention“ noch wichtiger geworden. Wie weit sind wir hier? Und was müsste sich noch ändern?

Jörg Botti: Zuallererst gibt es natürlich die Notwendigkeit und die Pflicht des Arbeitgebers, technische und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen. Aber irgendwann bin ich dann auch bei den Versicherten und versuche darauf hinzuwirken, dass sie sich selbst freiwillig und bewusst schützen. Deshalb ist das Thema Sicherheitskultur ein wichtiges, weil das Handeln von Beschäftigten in einem Unternehmen eben auch von der Unternehmenskultur abhängt. Was lebt denn mein Chef, meine Chefin mir vor? Wenn ich als Vorgesetzter damit angebe, dass ich wieder 250 auf der Autobahn gefahren bin und die Strecke Köln–Münster nachts um drei in einer Dreiviertelstunde absolviert habe, dann bin ich natürlich kein gutes Vorbild. Es gibt viele Beispiele, wo ich Kultur gestalte als Vorgesetzter. Und deshalb ist dieses Kulturthema ein ganz, ganz wichtiges. Im Übrigen ist die individuelle Gesundheitskompetenz der Mitarbeitenden auch deshalb wichtig, weil ja immer mehr Menschen mobiler und ortsunabhängiger arbeiten. Und von daher geht es gar nicht anders, dass die Menschen eine individuelle Verantwortung ausbilden,die in die Kultur des Unternehmens eingebettet ist.

Wenn trotz guter Prävention ein Unfall passiert, geht es dann um das Thema Rehabilitation. Und da immer auch um ein individuelles Schicksal. Gibt es Geschichten von Versicherten, die Sie besonders bewegen?

Marco Wetzel: Mich beeindruckt immer wieder, wie unsere Versicherten es schaffen, schwere Schicksalsschläge zu überwinden und auch in längeren Heilungsprozessen nicht den Mut und die Zuversicht zu verlieren. Ich muss da zum Beispiel an Martin Malicki denken, das ist ein Versicherter, der mit seinem Arm zwischen zwei heiße Walzen geraten ist und dem in Folge des Unfalls ein Arm amputiert werden musste. Heute ist er wieder in seinem alten Betrieb tätig und hilft als Ehrenamtlicher sogar anderen Amputierten dabei, mit ihrer neuen Situation zurechtzukommen. Das ist natürlich das beste Ergebnis, das man nach so einem Unfall erzielen kann. Und funktioniert nur, wenn der Arbeitgeber, die BG ETEM mit ihren Reha-Managerinnen und -Managern und die Versicherten gemeinsam auf das Ziel hinarbeiten.

Porträt von Marco Wetzel in Interviewsituation am Tisch

Das Reha-Management der BG ETEM hat in einer Umfrage unter Versicherten ja sehr gut abgeschnitten. Was tun Sie, dass das auch weiterhin so gut bleibt?

Marco Wetzel: Wie zufrieden Versicherte sind, ist natürlich ein wichtiges Qualitätskriterium für die Beurteilung des Reha-Managements. Deshalb freut uns dieses Ergebnis auch sehr. Die Reha-Manager und -Managerinnen sind auch deswegen so beliebt, weil sie einfach sehr engagiert sind, die BG ETEM macht viel in diesem Bereich möglich. Wir würden nur gerne mehr unserer Versicherten diese Möglichkeit geben wollen. Das heißt, wir sehen noch Potenzial, das Reha-Management auszuweiten. Das ist unser Ziel, da wollen wir perspektivisch hin.

Was ist die Aufgabe der Arbeitgeber in diesem Prozess?

Marco Wetzel: Das Reha-Management besteht unter anderem auch aus einem Reha-Plan, da wird quasi festgelegt, in welchen Etappen das Ziel erreicht werden soll, also möglichst die Rückkehr an den Arbeitplatz. Und an diesem Reha-Plan und seiner Umsetzung sind alle beteiligt: die BG ETEM, der oder die Versicherte und natürlich auch der Arbeitgeber. Ab einem bestimmten Zeitpunkt sitzt er da mit am Tisch und wird mit eingebunden. Es arbeiten alle Hand in Hand und strengen sich an, das Ziel zeitnah zu erreichen. Wir unterstützen die Wiedereingliederung natürlich auch am Arbeitsplatz, finanzieren bestimmte Leistungen wie notwendige Umbauten. Aber natürlich ist es auch eine Kulturfrage, wie man mit Einschränkungen von Mitarbeitenden umgeht als Unternehmen.

Jörg Botti: Ganz besonders engagierte Arbeitgeber zeichnen wir alle zwei Jahre mit einem besonderen Preis aus. Der Reha-Preis ist mit 5.000 Euro dotiert, ihn bekommen Arbeitgeber, die mehr leisten als das, was mindestens notwendig ist. Im letzten Jahr war das die Elektrobau Rockrohr GmbH & Co. KG aus Ilmenau in Thüringen. Sie hat einen beinamputierten Versicherten neu eingestellt, den sein alter Arbeitgeber nach seinem Arbeitsunfall nicht mehr beschäftigen wollte.

Mit dem Cannabisgesetz sind Anbau, Besitz und Konsum von Cannabis nun teilweise legal. Was bedeutet das für die Arbeitssicherheit?
 
Jörg Botti: Für uns ist das Ganze kein neues Thema. Wir hatten auch vor der Legalisierung von Cannabis schon Suchtthemen in den Betrieben und wir bieten auch Hilfestellungen dazu an. Es bleibt eine Führungsaufgabe, darauf zu achten, dass keiner die Arbeit antritt, der dazu wegen Alkohol- oder Drogenkonsums nicht in der Lage ist. Was sicherlich mehr erforscht werden muss, sind Fragen zu Grenzwerten. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Bei Alkohol gibt es eine klare Promillegrenze. Ob die richtig oder falsch ist, kann man sicherlich diskutieren. Aber es gibt einen klaren Wert, den gibt es für THC noch nicht.

Sie erwarten nicht, dass mehr Beratung notwendig ist oder mehr Fragen auftauchen seitens der Betriebe?

Jörg Botti: Vielleicht am Anfang, weil das Thema jetzt neu ist. Aber in der Praxis – und die ist für uns ja relevant – glaube ich nicht, dass wir jetzt tausende von zusätzlichen Unfällen haben, weil die Leute berauscht an der Maschine stehen. Da bin ich Optimist.

Ein anderes großes gesellschaftliches Thema ist der Klimawandel und was man dagegen tun kann beziehungsweise sollte. Ist der Klimawandel auch ein Thema für die Berufsgenossenschaften?

Jörg Botti: Ja. Wir diskutieren den Klimawandel aus zwei Blickwinkeln: Was für Gefährdungen bestehen und welches Schadenspotenzial er hat. In der BG ETEM haben wir viele Versicherte, die draußen arbeiten. Die sind natürlich alle auch heute schon der UV-Strahlung ausgesetzt, die aber unter den zukünftig heißeren klimatischen Bedingungen weiter zunehmen wird. Das heißt, das Wissen über UV-Schutzmöglichkeiten ist wichtig für Betriebe. Da können wir natürlich Hinweise geben, wie zum Beispiel eine bessere Gestaltung der Arbeitszeit aussehen kann. Also die Frage, ob man wirklich mittags in der prallen Sonnenhitze auf den Freileitungsmast klettern muss. Um dieses Thema kümmern wir uns aber schon seit längerem.

Was neu diskutiert wird, sind Großschadensereignisse, also das, was zum Beispiel im Ahrtal passiert ist. Es steht zu befürchten, dass wir ähnliche Katastrophen in Zeiten des Klimawandels häufiger haben werden. Branchen wie die Energieversorger sind bei solchen Ereignissen direkt an vorderster Front. Das heißt, da gibt es Stromprobleme, da gibt es Infrastruktur, die beschädigt ist, wo man nachschauen muss, wo man warten muss. Und das ist natürlich ein Feld, wo neue Gefährdungen entstehen. Durchaus auch psychische Gefährdungen, wenn man sehr unmittelbar mit einer solchen Katastrophe konfrontiert wird und schreckliche Dinge sieht.

Die Arbeitssicherheitsthemen, die Sie als Berufsgenossenschaft selbst setzen, sind ja nur die eine Seite. Was sind denn wichtige Themen, die von den Betrieben selbst, also aus der Praxis, an Sie herangetragen werden?

Jörg Botti: Hier sieht man, wie gut es ist, dass wir bei der BG ETEM die Selbstverwaltung haben. Die erdet uns. In den Selbstverwaltungsgremien sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen vertreten. Auch wenn wir als Geschäftsführer nicht selbst im Betrieb stehen, bekommt man die betriebliche Sicht so trotzdem vermittelt.

Man muss sagen, in unseren Branchen sind es auch die alten Gefährdungen, die uns weiter umtreiben. Deshalb müssen wir diese Themen immer wieder in den Blick nehmen. Unsere drei größten Berufskrankheiten sind weiterhin Hauterkrankungen, Lärmschwerhörigkeit und durch Asbest verursachte Erkrankungen, obwohl der seit Anfang der 1990er Jahre verboten ist. Aber er steckt noch überall drin. Wie also können wir Elektrohandwerker, die tagtäglich in alte Wände bohren, davor schützen, dass sie dabei Asbestfasern einatmen?

Marco Wetzel: Ein anderes großes Thema bei uns sind Kleinbetriebe. Das Wissen um Arbeitsschutz ist natürlich beim Großbetrieb viel einfacher sicherzustellen als beim kleinen Elektromeister um die Ecke, der vielleicht fünf bis zehn Beschäftigte hat. Wie schaffen wir es, auch Klein- und Kleinstbetriebe zu überzeugen vom Thema Arbeitsschutz, von seinem Nutzen, aber auch von den Instrumenten, die man dafür einsetzen kann? In diesem Bereich arbeiten wir sehr stark mit unserer Selbstverwaltung daran, dass uns hier ein möglichst niederschwelliger Einstieg gelingt.

Und wir bieten für Kleinbetriebe das sogenannte Unternehmermodell an. Das heißt, als Unternehmer kann man sich bei uns schulen lassen und dann selbst im Betrieb die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung übernehmen. Wir versuchen immer möglichst praxisorientierte Hilfestellung zu leisten. Denn von unseren Betrieben bekommen wir das Feedback, dass es das Wichtigste ist, dass man die Maßnahmen in der täglichen Arbeit auch gut umsetzen kann.

Zum Abschluss noch eine ganz persönliche Frage. Was macht Sie stolz, für die BG ETEM zu arbeiten? 

Marco Wetzel: Ganz allgemein ist für mich das Schöne daran, für eine Berufsgenossenschaft zu arbeiten, dass die gesetzliche Unfallversicherung insgesamt ein sehr sinnhaftes und sinnstiftendes System ist. Wir haben ja vorhin schon davon gesprochen, dass wir – bei aller Wirtschaftlichkeit, die wir natürlich auch im Blick haben – mit allen geeigneten Mitteln helfen dürfen. Das bedeutet, wo es notwendig und sinnvoll ist, nehmen wir auch das nötige Geld in die Hand. Das kann für Betroffene den entscheidenden Unterschied machen.

Die BG ETEM selbst ist für mich natürlich auch eine besondere Berufsgenossenschaft. Ich kenne sie ja von früher und bin jetzt wieder zurückgekommen. Wir haben hier wirklich sehr motivierte, engagierte Beschäftigte, die sich für die Versicherten einsetzen – nicht nur im Bereich Reha-Management, sondern in allen Bereichen, die wir haben. Und deswegen erfüllt es mich jeden Tag mit Stolz, auch für die BG ETEM zu arbeiten und sie in die Zukunft zu führen. 

Jörg Botti: Das kann ich alles unterschreiben! Als kleine Ergänzung vielleicht noch: Ich finde es toll, dass wir in der BG ETEM Branchen unterstützen dürfen, die extrem wichtig sind für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die zum Beispiel für unser Land so entscheidende Projekte wie die Energie- oder Mobilitätswende weiter voranbringen. Das motiviert mich ungemein.