„Die Schultern tun mir so weh, dass ich ab mittwochs Schmerztabletten nehme. Und am Wochenende muss ich mich schonen, sonst könnte ich am Montag nicht arbeiten gehen.“ Als die Wäschereimitarbeiterin das berichtet habe, sei sie schockiert gewesen, erinnert sich Dr. Sylvia Hubalek, Aufsichtsperson und Präventionsexpertin für Ergonomie bei der BG ETEM. „Und zwar aus zwei Gründen: weil dem Chef das Problem nicht bewusst war. Und weil es ganz einfache Möglichkeiten gab, den Arbeitsplatz ergonomisch so umzugestalten, dass die Gelenke der Frau weniger belastet werden.“
Gewohnheiten anschauen, Bewusstsein schärfen und Mut machen, über Probleme zu sprechen – das sind für Sylvia Hubalek die Hebel, um den Arbeitsschutz in Unternehmen voranzubringen. „In Seminaren, beim Ortsbesuch mit dem Schulungswagen oder mit unseren Selbstbewertungstools fordern wir die Mitarbeitenden auch auf, den Blickwinkel zu wechseln. Dann spielt ein Kollege oder eine Kollegin aus einem anderen Bereich die Bewegungsabläufe mal durch. Da kommen oft schnell tolle Verbesserungsvorschläge.“
Hilfe zur Selbsthilfe zu geben ist ein wichtiges Mittel, um die Arbeitssicherheit in Betrieben zu erhöhen und berufsbedingte Erkrankungen zu verhindern. Das gilt nicht nur für Muskel-Skelett-Belastungen, einem von drei Bereichen, denen die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) von 2021 bis 2025 besondere Aufmerksamkeit widmet (siehe Kasten). Die beiden anderen sind Psyche und der sichere Umgang mit krebserzeugenden Gefahrstoffen.
Berufsbedingten Krebs verhindern
„Krebserkrankungen verursachen großes Leid bei Betroffenen und ihren Familien“, sagt Dr. Lothar Neumeister vom Fachkompetenzcenter Gefahrstoffe der BG ETEM. Denn sie beeinträchtigen massiv die Lebensqualität der Erkrankten und verkürzen ihre Lebenszeit. Mit 150 bis 200 Millionen Euro pro Jahr machen Leistungen durch berufsbedingten Krebs zudem einen beachtlichen Kostenblock für die BG ETEM aus. Da die Erkrankung häufig erst Jahrzehnte nach Exposition mit einem krebserzeugenden Stoff auftrete und sich die Betroffenen dann meist schon im Ruhestand befänden, sei vielen Berufstätigen die Gefahr zu wenig bewusst, so Lothar Neumeister. „Asbest zum Beispiel ist zwar seit langem verboten, aber Elektriker, die in einem Altbau Schlitze fräsen, dürfen nicht vergessen, dass der Putz asbesthaltig sein kann und sie Atemschutz und Schutzkleidung tragen müssen.“
Die Handlungshilfen sollen den Arbeitsschutz von Elektrikern, Zahntechnikern oder Galvaniseuren beim Umgang mit krebserzeugenden Gefahrstoffen voranbringen. Betrieben können sie Gewissheit geben, dass sie die gesetzlichen Auflagen erfüllen. Zu den Hilfen gehören Empfehlungen Gefährdungsermittlung der Unfallversicherungsträger (EGU) oder Verfahrens- und stoffspezifische Kriterien (VSK). „Besonders gut geeignet für kleine und mittlere Betriebe ist der GDA Gefahrstoff-Check“, sagt Lothar Neumeister. „Er besteht aus neun Kapiteln à drei bis fünf Fragen. Nicht jeder Betrieb muss alle beantworten. Der Fragenkatalog ist online oder auf Papier ausfüllbar – so bekommt man schnell Klarheit.“
Psychische Erkrankungen noch immer ein Tabu
Krebs ist in Deutschland die arbeitsbedingte Todesursache Nummer eins. Bei den Arbeitsunfähigkeitstagen aber führen Muskel-Skelett- und psychische Erkrankungen die Statistik an. Fast jeder fünfte Arbeitsunfähigkeitstag ist die Folge psychischer Belastungen. Und viele Betroffene fallen lange aus: im Schnitt knapp 40 Tage. „Es sind oft die besonders Engagierten und für den Betrieb Relevanten, die es trifft“, sagt Dr. Just Mields vom Fachkompetenzcenter Gesundheit im Betrieb der BG ETEM.
Über psychische Belastungen werde allerdings ungern gesprochen. „Die Tabuisierung trägt dazu bei, eine negativ wirkende Belastung zu verschlimmern.“ Während in Kleinstbetrieben mit familiären Strukturen oft gut aufeinander geachtet werde und Großbetriebe institutionalisierte Strukturen für Gefährdungsbeurteilungen nutzten, gebe es in kleinen und mittelgroßen Unternehmen große Lücken. Dort sei eine Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung der psychischen Belastung besonders hilfreich, betont der Präventionsexperte. Arbeitgebende seien nun mal in der Pflicht, die Rahmenbedingungen von Arbeit zu gestalten. „Ein Beispiel: Wenn Mitarbeitende eines Kundencenters häufig aggressiv angegangen werden, hat das Folgen für ihre psychische Verfassung. Haben die Mitarbeitenden aber gelernt, wie sie am besten deeskalieren, entlastet sie das.“
Die GDA unterstützt Betriebe mit Gestaltungsempfehlungen für Arbeitsorganisation und mit Infos zu sozialen Faktoren, die BG ETEM mit Beratung und Materialien. „Wie und womit lässt sich die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durchführen und welchen Nutzen bringt es dem Unternehmen? Zu solchen Themen bieten wir den Unternehmen Konzepte Fragebögen, Schulungen oder auch Moderationsunterstützung im Workshop an“, so Just Mields.