Montage: Ein Mann mit nacktem Oberkörper ist von den Schultern ab zu sehen. Er hat die Augen geschlossen. In der Mitte seiner Stirn ist der Kopf abgeschnitten und als regelmäßiger, dickerer Behälter angedeutet. Aus dem silbernen Inneren des Kopfs steigt eine Rauchwolke empor.

Bei einer Covid-Erkrankung können unterschiedlichste Organe sowie auch die Psyche in Mitleidenschaft gezogen sein. Therapien müssen mit Umsicht angewendet werden.

Berufsbedingte Lungen- und Atemwegserkrankun­gen sind seit jeher einer von drei Schwerpunkten der BG Klinik Bad Reichenhall. Mit ihrem Angebot war sie des­halb gut gerüstet, als 2020 die ersten Patientinnen und Patienten mit Langzeitbeschwerden aufgrund einer Covid-19-Infektion in die Klinik kamen. „Im Mai 2020 haben wir den ersten Patienten aufgenommen, der auch Monate nach seiner akuten Coronainfektion noch unter schweren Beeinträchtigungen litt“, erinnert sich Dr. Michael Stegbauer, ärztlicher Direktor des Zentrums für Lungen- und Atemwegserkrankungen und verant­wortlich für die Post-Covid-Behandlung. „Einige Ein­richtungen hatten den Mann wohl abgelehnt – es hatte ja niemand Erfahrung. Wir auch nicht, aber wir sind es angegangen.“ Wie wenig damals über die Krankheit bekannt war, lässt sich auch daran erkennen, dass es die Bezeichnungen Long Covid beziehungsweise Post-Covid-Syndrom noch gar nicht gab.

Eine Krankheit mit vielen Gesichtern

In den rund zwei Jahren seit Beginn der Coronapande­mie haben Fachleute aus der Medizin weltweit die neu­artige Virusinfektion besser kennengelernt. „Anfangs dachte man, Covid-19 sei eine Erkrankung der Lunge – aber das ist meist nicht die führende Beeinträchtigung. Mindestens genauso häufig ist das Herz betroffen, oft auch andere Organe“, erläutert Stegbauer. Viele Symp­­tome seien zudem mit Untersuchungsmethoden nicht fassbar, die massive Erschöpfung etwa. „Die Belast­barkeit der Patientinnen und Patienten schwankt stark von Tag zu Tag. Deshalb müssen wir mit allen Thera­pien sehr, sehr vorsichtig vorgehen.“

Es sind nicht nur Menschen, die wochenlang beat­met werden mussten oder im Koma lagen, die sich von der Reha in Bad Reichenhall viel erhoffen. Menschen, die hier wieder lernen möchten zu gehen, zu sprechen, sich zu konzentrieren. Einige Patientinnen und Patien­ten hatten keine oder leichte Symptome während der akuten Infektionsphase mit dem Coronavirus. Dennoch sind sie so schwer beeinträchtigt, dass ambulante Maß­nahmen keinen Erfolg hatten oder haben würden. Die etwa 30 Plätze, die Bad Reichenhall für sie bietet, sind nicht neu geschaffen worden. Sie wurden umgewidmet aus dem bisherigen Angebot für Menschen, die sich während ihrer Berufsausübung eine Lungen-, Atem­wegs- oder Hauterkrankung oder eine posttraumati­sche Belastungsstörung zugezogen haben.

Die Beschwerden belasten auch die Psyche

Zwischen Mai 2020 und Ende Februar 2022 waren fast 450 Post-Covid-Betroffene in der BG Klinik. Das Durch­schnittsalter liege bei 49 Jahren, sie seien also recht jung, sagt der ärztliche Direktor: „Diese Patientinnen und Patienten haben noch viel Familien- und Lebens­zeit vor sich, theoretisch auch ein langes Erwerbsleben. Sie haben große Ängste, wie es weitergeht, privat wie beruflich.“ Da ist die Endzwanzigerin, die auch zwei Jahre nach der akuten Erkrankung noch nicht wieder arbeiten kann und gerade zum zweiten Mal in Bad Rei­chenhall zur Reha ist. Oder die Pflegekraft, die früher Marathon lief und nach der Reha eine Umschulung zur Controllerin begonnen hat, weil sie die körperliche An­strengung im alten Beruf nicht mehr stemmen kann. Die sozialpsychologische Begleitung sei für diese Reha-Gruppe besonders wichtig und intensiv, sagt Stegbauer.

„Arbeitgebende haben im Laufe der Pandemie die Relevanz von Covid-Folgeerkrankungen erkannt. Das ist wichtig und gut. Denn sie müssen ihre Mitarbeitenden wahrnehmen und sie unterstützen. Die Berufsgenossenschaften haben gute Post-Covid-Programme und helfen, wenn eine Umschulung nötig wird.“
Dr. Michael Stegbauer, ärztlicher Direktor des Zentrums für Lungen- und Atemwegserkrankungen der BG Klinik Bad Reichenhall

Betroffene können aus vielen Angeboten wählen

Das Haus im Berchtesgadener Land bietet eine Viel­zahl von Therapien an. Dazu gehören Atemphysio- und Atemmuskeltraining, Ausdauer- und Entspannungsthe­rapien, Massagen, Koordinations- und Gleichgewichts­training, Therapien, um Konzentration und Wortfindung zu verbessern, Gesprächs- und Kunsttherapien. Das The­rapieteam ist interdisziplinär zusammengestellt. Min­destens drei Ärztinnen und Ärzte, fünf Psychologinnen und Psychologen sowie ein Dutzend Fachleute aus Phy­siotherapie, Sport- und Ernährungswissenschaft, Kunst- und Ergotherapie arbeiten mit den rund 30 Post-Covid-Betroffenen, die zeitgleich eine Reha machen können.

„Wir lernen immer weiter dazu“, sagt Stegbauer, „fast jede Woche nehmen wir einen neuen Therapiean­satz auf, verwerfen einen anderen.“ Ergänzende medi­zinische Ansätze wie Akupunktur, Tai Chi und Qigong oder kraniosakrale Therapien flössen zum Beispiel in die integrative Reha ein. „Viele unserer Klientinnen und Klienten kommen aus dem medizinischen Bereich. Sie sind gut informiert und bereit, sich auf Neues ein­zulassen.“

Um festzustellen, wie die Therapien wirken, hat die BG Klinik Bad Reichenhall im Sommer 2021 eine Studie gestartet: Insgesamt 115 Post-Covid-Betroffene sollen vor, während und zum Abschluss ihres Reha-Aufenthalts sowie sechs und zwölf Monate nach ihrer Abreise inten­siv befragt und untersucht werden. Die ersten Ergebnisse zeigen: Die körperliche Leistungsfähigkeit steigt signifi­kant, depressive Verstimmungen gehen deutlich zurück. Das stimmt hoffnungsvoll. Denn die Wartelisten sind noch immer lang, obwohl andere Reha-Kliniken inzwi­schen ihre Post-Covid-Angebote ausgeweitet haben. Ob die Nachfrage anhält, ist aber noch offen. „Bislang wa­ren fast ausschließlich Menschen aus den ersten Coro­nawellen bis zur Delta-Variante bei uns“, sagt Stegbauer, „ob die Omikron-Variante ähnlich viele Langzeitfolgen hat, können wir noch nicht einschätzen.“ Die europäi­sche Gesundheitsbehörde geht allerdings allein wegen der hohen Infektionszahlen davon aus, dass die Zahl der Post-Covid-Betroffenen in Zukunft stark ansteigen wird.

Inzwischen fließt auch Geld in die Forschung

Auch die Forschung geht weiter. So fördert die Bundes­regierung seit September 2021 mit 6,5 Millionen Euro zehn Vorhaben, die sich mit den Spätfolgen von Long Covid befassen. Schwerpunkte sind: ambulante Versor­gung, Rehabilitation und Pflege sowie die Zusammen­arbeit von spezialisierten Long-Covid-Ambulanzen und der hausärztlichen Grundversorgung.