Arbeitnehmende, die während ihrer Arbeit gefährlichen Stäuben wie Asbest ausgesetzt waren, haben ein hohes Risiko, aufgrund ihrer Tätigkeit Lungenerkrankungen oder Krebs zu bekommen. In Deutschland betrifft das mehrere hunderttausend Menschen. Schon seit 1972 bieten Berufsgenossenschaften und Unfallkassen ihren Versicherten daher eine regelmäßige kostenlose Vorsorge an. Das Ziel: Erkrankungen so früh wie möglich zu erkennen.
Gesundheitliche Probleme erst nach Jahrzehnten
Die Arbeit mit krebserzeugenden Stoffen kann manchmal erst Jahrzehnte später zu einer Berufserkrankung führen. Um ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen, müssen Arbeitgeber daher auch ihren ehemaligen Mitarbeitenden eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge anbieten, wenn sie krebserzeugenden Gefahrstoffen ausgesetzt waren. Das ist die sogenannte nachgehende Vorsorge. Diese wichtige Aufgabe übernehmen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen für die Arbeitgeber.
Um die Versicherten bestmöglich versorgen zu können, haben die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen besondere Einrichtungen gegründet. Sie sind spezialisiert und gewährleisten, dass die Vorsorge regelmäßig nach besten medizinischen Standards durchgeführt wird. Eine dieser Einrichtungen ist die 1972 als „Zentrale Erfassungsstelle asbeststaubgefährdeter Arbeitnehmer“ gegründete Gesundheitsvorsorge (GVS) in Augsburg, die von der BG ETEM als Auftragseinrichtung geführt wird. Sie kümmert sich um Arbeitnehmende, die während ihres Berufslebens Stäuben von Asbestfasern, kristallinem Siliziumdioxid (Quarzstaub) oder künstlichen Mineralfasern ausgesetzt waren.
ca. 2,6 Millionen Vorsorgeuntersuchungen hat die GVS in den letzten 50 Jahren veranlasst.
Wie wichtig das kostenlose und umfangreiche Angebot der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen ist, zeigen die Zahlen: 2021 waren insgesamt 243.789 Menschen für die nachgehende Vorsorge gemeldet. Die meisten von ihnen, 230.127 Personen, waren in ihrem Berufsleben Asbest ausgesetzt. 2.593 Versicherte waren Quarzstaub, 1.938 künstlichen Mineralfasern ausgesetzt. Im Jahr 2021 investierten Berufsgenossenschaften und Unfallkassen zusammen rund 6,85 Millionen Euro, um ehemaligen Beschäftigten eine optimale Vorsorge bieten zu können.
Die Versicherten selbst müssen sich dabei um nichts kümmern: Die Arbeitgeber melden ihre Daten für die nachgehende Vorsorge online über ein extra eingerichtetes Portal, den Rest erledigt die GVS. Sie schreibt die Versicherten alle drei Jahre an, Personen mit hohem Lungenkrebsrisiko sogar jedes Jahr. Monatlich verschickt die GVS so bis zu 8.000 Einladungen. Die Teilnahme an der Vorsorge ist für die Versicherten dabei immer freiwillig.
So funktioniert das Angebot der GVS
Arbeitgeber melden Beschäftigte für die nachgehende Vorsorge online über ein extra eingerichtetes Portal an. Registriert werden alle Personen, die während ihrer Berufstätigkeit Kontakt zu gefährlichen Stäuben hatten. Die Teilnahme an der Vorsorge ist für Versicherte freiwillig und kostenlos. Fahrtkosten und Verdienstausfall werden erstattet. Erhärtet sich bei der Vorsorgeuntersuchung der Verdacht auf eine Berufskrankheit, übernimmt die jeweils zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse den Fall sowie die weitere Behandlung.
Ärztliches Beratungsgespräch
Im Zentrum der nachgehenden Vorsorge steht das ärztliche Beratungsgespräch. Hier lassen sich Sorgen und Ängste der Versicherten in Ruhe besprechen. Als Vorsorgeuntersuchungen kommen zusätzlich eine Lungenfunktionsprüfung oder eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs infrage.
Regelvorsorge
Alle drei Jahre erhalten Arbeitnehmende, die in ihrem Berufsleben gefährlichen Stäuben ausgesetzt waren, eine Einladung.
Erweiterte Vorsorge bei hohem Risiko
Die Einladung für Menschen mit hohem Lungenkrebsrisiko erfolgt jährlich. Als erweitertes Vorsorgeangebot können sie eine hochauflösende Computertomografie mit geringer Strahlendosis (LD-HRCT) erhalten. Damit lassen sich asbestverursachte Lungentumore in einem frühen Stadium entdecken, was die Heilungschancen deutlich verbessert.
Vor der Untersuchung kommt die Beratung
Im Zentrum des Angebots steht das ärztliche Beratungsgespräch. Hier lassen sich Sorgen und Ängste in Ruhe besprechen. „Viele brauchen und möchten erst einmal nur eine arbeitsmedizinische Beratung. Nicht immer werden in der Folge auch Untersuchungen empfohlen“, erklärt Alexandra Centmayer, seit März 2015 Verwaltungsleiterin bei der GVS, „diese Entscheidung fällt erst im Beratungsgespräch.“ Als Vorsorgeuntersuchung kommt neben einer Lungenfunktionsprüfung eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs infrage. Personen mit besonders hohem Lungenkrebsrisiko können im Rahmen eines erweiterten Vorsorgeangebots auch eine hochauflösende Computertomographie mit geringer Strahlendosis (LD-HRCT) durchführen lassen. „Asbestverursachte Lungentumore können so in einem sehr frühen Stadium entdeckt werden, was die Heilungschancen und Behandlungsmöglichkeiten deutlich verbessert“, erläutert Alexandra Centmayer die Vorteile des Verfahrens.
Für die Versicherten ist die Vorsorge lebenslang komplett kostenlos. Falls sich im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen der Verdacht auf eine Berufskrankheit erhärten sollte, übernimmt die jeweils zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse die weitere Behandlung. Und auch diese ist für die Versicherten natürlich kostenlos.
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Mehr Infos zur Arbeit der GVS sowie zur Gefährdung durch Asbest finden Sie hier: gvs.bgetem.de, Webcode 12311198
Ein Versicherter erzählt
Thomas Strauß besucht seit Jahren die Vorsorgeuntersuchungen der GVS. Für ihn ein wichtiges Angebot, das er gerne annimmt.
Eigentlich hatte Thomas Strauß ganz andere Pläne: Anfang der Siebzigerjahre betrieb der gelernte Tankwart aus Lübeck eine Tankstelle im Ort, das Geschäft lief gut. Aber dann kam die Ölpreiskrise. „Da lief es dann nicht mehr so gut. Ich habe mich anderweitig umgesehen“, erzählt der 75-Jährige.
Er sattelte um, von Kraftstoff auf Kohlekraftwerk, und fing beim Stromversorger Nordwestdeutsche Kraftwerke (NWK) am Standort Lübeck-Siems an. Zwei Jahre lang half er zunächst bei Wartungsarbeiten aus, prüfte unter anderem Rohrleitungen. „Deren Isolierungen waren asbesthaltig. Damals war das Zeug überall“, erinnert sich Strauß.
Später wechselte er in die Fahrbereitschaft und kam dort nicht mehr mit Asbest in Berührung. Trotzdem nahm er das Angebot zur Vorsorge gerne an, als der Betriebsrat Anfang der Neunzigerjahre dafür warb. „Ich dachte mir: Das ist ein sinnvolles Angebot“, sagt Strauß, der 2001 in den Vorruhestand ging.
Anfang 2020 stellte der Arzt bei der nachgehenden Vorsorge einen kontrollbedürftigen Lungen-Rundherd fest. Es folgten mehrere Zusatzuntersuchungen, die GVS band eine zweite Ärztin mit ein. Diese konnte schließlich Entwarnung geben: Die weiterführenden Untersuchungen hatten den Verdacht auf Lungenkrebs nicht bestätigt. „Das war eine große Erleichterung und hat bewiesen, dass die Vorsorge auch nach dem Berufsleben sinnvoll ist“, sagt Strauß.
Zur Sicherheit wird der 75-Jährige seine Einladung zur nachgehenden Vorsorge künftig jährlich erhalten statt wie bisher alle drei Jahre. „Da geh ich dann gerne hin, zumal ich mich immer gut betreut gefühlt habe“, sagt Strauß, „die regelmäßige Kontrolle schadet ja auch nicht – im Gegenteil!“
50 Jahre Gesundheitsvorsorge (GVS) – ein chronologischer Überblick
In dem halben Jahrhundert ihres Bestehens hat sich die GVS ständig weiterentwickelt, um die Vorsorge so effektiv wie möglich zu gestalten.
1972
- Errichtung der „Zentralen Erfassungsstelle asbeststaubgefährdeter Arbeitnehmer“ (ZAs) durch die gewerblichen Berufsgenossenschaften.
- Einführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen vor, während und nach der Asbestexposition und Organisation der Untersuchungen nach gleichen und einheitlichen Kriterien.
1990 bis 1995
- Systematische Erfassung ehemals asbeststaubexponierter Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der ehemaligen DDR und Angebot nachgehender Untersuchungen.
Ab 2001
- Einführung des maschinenlesbaren Untersuchungsbogens, Umstellung auf ein PC-gestütztes Betriebssystem und Beginn der digitalen Bearbeitung der Erfassungs- und Untersuchungsabläufe.
2002
- Einführung nachgehender Untersuchungen für Personen, die künstlichem mineralischem Faserstaub der Kategorie 1 oder 2 (Aluminiumsilikatwolle) ausgesetzt waren.
2007
- Die ZAs wird in Gesundheitsvorsorge (GVS) umbenannt.
- Inbetriebnahme eines Vorsorgeportals zur elektronischen Kommunikation zwischen Arzt und GVS.
- PC-gestützte Erfassung der Untersuchungsergebnisse beim Arzt. Elektronische Übermittlung der Untersuchungsergebnisse und Rechnungen.
2012
- Überführung der Daten der „Zentralen Betreuungsstelle Wismut“ und vom „Arbeitsmedizinischen Programm Wismut“ in die GVS.
2014
- Erprobung des erweiterten Vorsorgeangebots zur Früherkennung von Lungenkrebs in drei Pilotregionen der GVS.
Ab 2017
- Bundesweite Einführung des erweiterten Vorsorgeangebots zur Früherkennung von Lungenkrebs (EVA-Lunge) bei der GVS sowie den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen.
- Einrichtung einer zentralen Stelle für die radiologische Qualitätssicherung im EVA-Lunge und Dokumentation der Ergebnisse aus EVA-Lunge (Vorsorgedokumentation) bei der GVS.
2018
- Bündelung der Vorsorgedienste der gesetzlichen Unfallversicherung unter dem Dach DGUV Vorsorge.
- Der GVS wird die Organisation der nachgehenden Vorsorge von Personen, die gegenüber silikogenem Staub exponiert waren, übertragen.
2019
- Start des zentralen Meldeportals von DGUV Vorsorge. Über das Portal nehmen in der Regel Arbeitgeber ihre Meldungen zur nachgehenden Vorsorge online an die Vorsorgedienste vor. Unter bestimmten Voraussetzungen können sich auch Arbeitnehmende über das Portal online anmelden.
2020
- Die BG BAU beauftragt die GVS mit der Organisation der nachgehenden Vorsorge ihrer Versicherten. Im zentralen Meldeportal von DGUV Vorsorge werden die Meldungen für Versicherte der BG BAU an die GVS weitergeleitet.
2021
- Erweiterung des Meldeportals DGUV Vorsorge um ein Portal für Online-Meldungen der Unfallversicherungsträger an die Vorsorgedienste im UV-Net.
- Beginn der Übertragung des Versichertenbestands vom arbeitsmedizinischen Dienst der BG BAU an die GVS.
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