Wer heute in ein Auto steigt, entscheidet sich meist nicht bewusst, den Gurt anzulegen. Es passiert ganz automatisch, ohne Nachdenken. Und das ist gut so, weil ein Gurt im Falle eines Unfalls das eigene Leben retten kann. Doch es ist noch gar nicht so lange her, da sahen viele Menschen in Deutschland bei dem Thema rot. Als die Gurtpflicht zum 1. Januar 1976 eingeführt wurde, lehnten viele die neue Regel ab – und legten den Gurt deshalb bewusst auch nicht an. Dass die damalige Regierung anfangs darauf verzichtete, dafür ein Bußgeld einzuführen, bestärkte sie noch in dieser Meinung.
Menschen verhalten sich oft unvernünftig
Dabei zeigten die Unfallzahlen damals deutlich, dass es höchste Zeit war, zu handeln: 17.010 Menschen starben 1975 bei Verkehrsunfällen – 2020 waren es nur noch 2.719 Menschen. Die Gurtpflicht hat zu dieser positiven Entwicklung einen großen Teil beigetragen. Aber es gibt immer noch einige Menschen, die sich nicht anschnallen. Circa zwei Prozent aller Autoinsassen sind heute im Durchschnitt nicht angeschnallt – wären sie es, gäbe es jedes Jahr 200 Tote weniger, so eine Studie des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV).
Warum setzen sich Menschen einem solchen unnötigen Risiko aus, obwohl es ganz einfach wäre, es zu vermeiden? Oder allgemein gefragt: Warum ignorieren Menschen Regeln und Vorschriften, von denen sie wissen, dass diese ihrem eigenen Schutz dienen? Die Antwort auf diese Frage ist für Berufsgenossenschaften wichtig, denn sie wollen Unfälle bei der Arbeit ja möglichst vermeiden und stellen zu diesem Zweck auch Regeln für sicheres und gesundes Arbeiten auf.
In der bereits erwähnten Studie des GDV zum Anschnallverhalten wurden von den befragten Gurtmuffeln verschiedene Gründe genannt, zum Beispiel Zeitdruck, Vergesslichkeit oder keine Angst vor Entdeckung und Sanktionierung. Aber auch das persönliche Sicherheitsempfinden spielt eine große Rolle dabei, ob jemand vorsichtig ist oder nicht. Wer nicht glaubt, gefährdet zu sein, für den sind Sicherheitsaspekte automatisch weniger wichtig. Ob das eigene Risiko dabei realistisch eingeschätzt wird, ist nicht entscheidend.
Risiken werden unterschiedlich wahrgenommen
Was heißt das für den Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb? Zum einen, dass es nicht den einen Grund gibt, warum Mitarbeitende bestehende Arbeitsschutzregeln nicht einhalten. Zum anderen, dass es viel Aufklärung und Kommunikation bedarf, um im Betrieb ein gemeinsames Verständnis von Risiken und dem Umgang mit ihnen zu entwickeln.
Die Wahrnehmung von Risiken ist individuell unterschiedlich, Herkunft, Bildung, Veranlagung und Erziehung spielen dabei eine Rolle. Außerdem entwickeln Menschen auch sehr unterschiedliche Strategien, um mit tatsächlichen oder vermeintlichen Risiken umzugehen. Das lässt sich zurzeit sehr gut in der Coronapandemie erkennen: Einige Menschen ziehen sich aus Angst zurück und verhalten sich sogar vorsichtiger als das von offizieller Seite empfohlen wird, andere gehen größere Risiken ein, weil sie davon ausgehen, die Krankheit gut überstehen zu können oder weil sie glauben, sich sowieso zu infizieren. Und wieder andere verdrängen und verleugnen ihre Ängste und Sorgen so sehr, dass sie die Krankheit selbst für nicht gefährlich erklären, obwohl die Zahlen etwas anderes zeigen.
Führungskräfte müssen auf die Risikowahrnehmung und die Bewältigungsstrategien ihrer Mitarbeitenden eingehen, um erfolgreich mit ihnen kommunizieren zu können. Gleichzeitig müssen sie aber auch effektiv informieren: So muss allen Mitarbeitenden in einem Betrieb klar sein, welche Risiken es bei der Arbeit tatsächlich gibt und wie man sie vermeiden kann. Außerdem muss klar sein, welche Regeln und Vorschriften gelten, und dass diese auch einzuhalten sind. Denn viele Arbeitsunfälle sind verhaltensbedingt und nicht durch technisches Versagen verursacht. Gründe dafür können mangelndes Wissen, aber eben auch bewusstes Missachten von Sicherheitsregeln sein.