Das Büro von Christian Hilgers hat vier Räder und 180 PS. Denn meistens ist er unterwegs. 2020 war Christian Hilgers 180 Tage im Außendienst, ist rund 50.000 Kilometer gefahren. Im Norden von Rheinland-Pfalz, im Süden Nordrhein-Westfalens, in Ostwestfalen und dem Münsterland liegen die Betriebe und wohnen die Versicherten, um die er und ein Kollege der Bezirksverwaltung Köln sich kümmern. Hilgers ist einer von bundesweit 72 Reha-Managern der BG ETEM.
Versicherte werden langfristig unterstützt
Zur BG ETEM kam Christian Hilgers direkt nach dem Abitur. Er absolvierte sein duales Studium Sozialversicherung mit dem Schwerpunkt Unfallversicherung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Seit 2009 arbeitet er in der Bezirksverwaltung Köln der BG ETEM im Reha-Management. Hilgers Thema sind die Berufskrankheiten, außer ihm haben bundesweit noch weitere 21 Reha- Manager bei der BG ETEM diesen Schwerpunkt. „Ich betreue laufend rund 150 Versicherte mit Berufskrankheit. Mindestens ein- bis zweimal im Jahr besuche ich sie und schaue, ob sie zusätzliche Unterstützung brauchen“, sagt Hilgers. „Wenn jemand Hilfe braucht, dann handeln wir. Das zeichnet die Berufsgenossenschaften aus.“ Außerdem kümmert er sich um Erstbesuche nach Verdachtsmeldungen auf Berufskrankheiten, die von Ärzten, Krankenkassen, Versicherten oder Unternehmen in der Bezirksverwaltung Köln eingehen. 250 Meldungen sind das pro Jahr: Eine Hälfte besucht Hilgers, die andere der Kollege.
Was nach der Meldung folgt, sind Aufnahmen der Anamnesen – so heißt das Erheben der medizinischen Vorgeschichte, der aktuellen Beschwerden und des Arbeitslebens der Versicherten – sowie viel Recherchearbeit, die schließlich von der Sachbearbeitung in der Verwaltung fortgeführt und zu einer Entscheidung gebracht wird, ob eine Berufskrankheit vorliegt oder droht. Drei bis sechs Monate kann diese Phase dauern. Wird eine berufsbedingte Erkrankung bejaht, sind Rehabilitationsmaßnahmen und eine möglichst optimale Versorgung der Versicherten zu organisieren. Bis über die Verdachtsanzeige entschieden ist, entgeht den Erkrankten nichts: Ihre Behandlung bezahlt erst einmal die Krankenkasse.
„Anamneseerhebung bedeutet zunächst: ein Gespräch mit dem oder der Versicherten vereinbaren, am besten zwei bis vier Wochen, nachdem die Meldung eingegangen ist“, erläutert Christian Hilgers. Diese Zeitspanne setzt er sich zumindest bei Anzeigen von Krebserkrankungen oder wenn jemand Krankengeld erhält, wenn also sehr schnell gehandelt werden muss. Fachleute aus dem Bereich Prävention kommen möglichst zum Erstgespräch dazu. Dr. Christine Albrecht ist eine solche Spezialistin, eine von 20, die im Bundesgebiet für die BG ETEM arbeiten. Die promovierte Diplom-Chemikerin wechselte 2002 aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie zur Berufsgenossenschaft. Ihre Aufgaben: Betriebe im Bereich Prävention beraten, aber eben auch feststellen, ob angezeigte Erkrankungen berufliche Ursachen haben.
„Bei Berufskrankheiten sieht man die Folgen von chemischen oder physikalischen Einwirkungen oft erst Jahre oder Jahrzehnte nach dem Kontakt. Das unterscheidet sie von Arbeitsunfällen.“
Christian Hilgers, Reha-Manager
Wenn Reha-Manager und Präventionsspezialisten losfahren, kennen sie in der Regel nur Namen und Adresse der Versicherten und die Verdachtsdiagnosen, so Christine Albrecht. Persönliche Treffen seien wichtig und auch in der Coronapandemie möglich. Dr. Albrecht weiß um die Eigenschaften von Viren und die notwendigen Schutzmaßnahmen für sich selbst und die Erkrankten – sie hat in der Virologie gearbeitet. „Wir möchten, dass die Versicherten uns kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Sie teilen uns ja sehr persönliche Dinge mit, das ist am Telefon schwierig“, sagt sie. Die Zusammenarbeit der Bereiche Rehabilitation und Prävention sei enorm wichtig für Versicherte und ihre Zukunft. „Wir wollen mit den optimalen Maßnahmen das Maximum für sie herausholen.“
Allergien treffen immer häufiger jüngere Menschen
Es war im Herbst 2018, als Christian Hilgers und Christine Albrecht den Namen Janik Bieker erstmals hörten. Biekers Hautärztin hatte sich an die Berufsgenossenschaft gewandt – da hatte der junge Mann aus dem Sauerland schon drei Jahre mit massivem Ausschlag an den Händen zu kämpfen. 2012 hatte Bieker bei der Wiro Präzisions-Werkzeugbau GmbH in Olpe eine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker begonnen und sie wegen guter Leistungen 2015 vorzeitig abschließen können.
Das mittelständische Unternehmen, das Spritzgussformen für die Herstellung von Verschlüssen etwa für Tuben, Getränke und pharmazeutische Produkte entwickelt und fertigt, übernahm ihn. „Als ich jeden Tag an der Erodiermaschine stand, ging es los: Ich bekam starken Ausschlag an den Händen, wurde immer wieder krankgeschrieben, damit er abheilen konnte“, erzählt Janik Bieker. Betriebs- und Hautärztin vermuteten, dass Biekers Haut auf die Arbeitsstoffe reagierte, mit denen er hantierte. Der Betrieb versuchte einiges, um das Problem in den Griff zu bekommen, wechselte zum Beispiel Öle und Kühlschmierstoffe, mit denen Bieker in Kontakt kam. Der Erfolg blieb aus. „Wenn ich länger krankgeschrieben oder im Urlaub war, sind die Hände abgeheilt. Wenn ich dann wieder mit den Werkstoffen gearbeitet habe, kam der Ausschlag zurück.“ Das war frustrierend und belastete Janik Bieker auch psychisch: „Wenn man an der Supermarktkasse Geld hinlegt und alle starren auf die Hände – das ist unangenehm. Aber ich habe mir vor allem Gedanken gemacht, wie es für mich weitergehen wird.“
Janik Bieker ist damals erst 22 – aber trotz seines jungen Alters kein Sonderfall. „Allergische Reaktionen der Haut und der Atemwege gibt es nach meinem Eindruck immer häufiger bei jungen Arbeitnehmenden“, sagt Reha-Manager Christian Hilgers. Gerade die Hauterkrankungen nehmen zu: Zusammen mit Lärmschwerhörigkeit wurden sie 2020 am häufigsten angezeigt. Aber auch asbestbedingte Erkrankungen waren bei den Verdachtsmeldungen weiterhin stark vertreten.
5.897 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit erreichten die BG ETEM 2020.
Wie in den Vorjahren wurde 2020 bundesweit bei knapp der Hälfte der Verdachtsmeldungen letztlich eine Berufskrankheit anerkannt. „Ärzte filtern oft schon, was sie melden, denn sie wissen, welche Erkrankungen auf der Liste der Berufskrankheiten stehen und anerkannt werden können. Brustkrebs oder ein Tumor der Zunge etwa sind nicht dabei“, sagt Christine Albrecht. Tumoren, die sich als gutartig herausstellen, begründen ebenfalls keine Anerkennung. Ein Krebs des Rippenfells, ein Pleuramesotheliom, ist dagegen mit recht hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass der Erkrankte in seinem Arbeitsleben Asbest ausgesetzt war. Andere Befunde, etwa ein Karpaltunnelsyndrom, können viele Ursachen haben, nicht nur besondere Beanspruchung durch den Beruf.