Alterer Mann mit birlle und Vollbart steht auf der Straße und befestigt einen Fahrradhelm auf seinem Kopf.

Eine Führungskultur der Umsicht und Rücksichtnahme kann Wegeunfälle verhindern helfen.

Auf dem Parkstreifen zwischen Straße und Fahrradweg stehen die Fahrzeuge dicht an dicht. Als die Ampel an der Rechtsabbiegerspur auf grün schaltet, fährt der Busfahrer los. Obwohl er in den Rückspiegel blickt, übersieht er den schnell herannahenden Radfahrer, der auf dem Weg zur Arbeit geradeaus fahren muss. In Sekundenbruchteilen kommt es zum Unglück. Der Radfahrer prallt gegen den abbiegenden Bus und stürzt kopfüber auf die Straße. Die Folge: ein komplizierter Beinbruch, ein stark geprellter Unterarm, Hautabschürfungen an Beinen und Armen – und eine mehrwöchige Arbeitsunfähigkeit.

Unübersichtlichkeit, Unaufmerksamkeit oder zu hohe Geschwindigkeit sind nur einige der Faktoren, die im Straßenverkehr täglich zu Unfällen führen – egal, ob man mit einem Fahrzeug unterwegs ist, auf dem Fahrrad oder zu Fuß. Von Wegeunfällen spricht man, wenn eine beteiligte Person in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer unfallversicherten Tätigkeit im Straßenverkehr unterwegs ist. Bei den Versicherten der BG ETEM gab es 2019 insgesamt 13.549 Wegeunfälle, 19 mehr als im Vorjahr. Ein besonders beunruhigender Trend: Die Zahl der tödlichen Wegeunfälle stieg um 66,7 Prozent von 21 auf 35. Damit sind sie häufiger als tödliche Arbeitsunfälle.

Gemeinsam auf Gefahrensuche gehen

Zu Wegeunfällen kommt es außerhalb des Arbeitsplatzes. Müssen Betriebe Wegeunfälle deshalb einfach hinnehmen, weil sie keinen unmittelbaren Einfluss auf die Sicherheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nehmen können? Ein klares Nein – denn im Zusammenhang mit dem Arbeitsweg gibt es viele Stellschrauben, an denen Unternehmen drehen können, um Unfälle zu vermeiden.

Ein guter erster Schritt ist gründliche Recherche. Hier sind die Führungskräfte eines Unternehmens gefragt. Sie sollten zunächst auf die Suche nach besonderen Unfallgefahren im Umfeld der Firma gehen. Dabei kann zum Beispiel der Unfallatlas des Statistischen Bundesamts helfen, der regionale Unfalldaten zur Verfügung stellt (unfallatlas.statistikportal.de). Er zeigt für fast ganz Deutschland, auf welchen Strecken und Kreuzungen es besonders häufig zu Verkehrsunfällen mit Personenschaden kommt. Diese Informationen können bei Schulungen oder über die Mitarbeitendenmedien weitergegeben werden.

Zur Recherche gehört auch, dass die Führungskräfte mit den Mitarbeitenden über das Thema ins Gespräch kommen. Mögliche Fragen können lauten: Mit welchem Fahrzeug kommt ihr zur Arbeit? Welche Route nehmt ihr? Wo befinden sich aus eurer Erfahrung Gefahrenstellen? Wo ist euch schon einmal fast etwas passiert? Um wieviel Uhr war das? Gemeinsam lassen sich Gefahrenpunkte schneller identifizieren. Beim Einbinden der Belegschaft unterstützt Vorgesetzte die Präventionskampagne „kommmitmensch“ (siehe Kasten).

Auf Basis dieser Risikoanalyse können Unternehmen gegensteuern und beispielsweise ihre Kommune auffordern, Zufahrten zu Gewerbegebieten zu erweitern, die Straßenbeleuchtung zu verbessern, an bestimmten Straßenzügen Fahrradwege anzulegen oder Ampeln aufzustellen.

Mehr Zeit bedeutet weniger Risiko

Flexibilität bei der Arbeitszeit kann die Sicherheit steigern. Wenn nicht alle Beschäftigten gleichzeitig den Dienst antreten müssen, entzerrt das die Verkehrsbelastung im Umfeld des Unternehmens, senkt das Stressniveau und damit die Unfallgefahr. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Arbeitszeit so festzulegen, dass die Beschäftigten vor und nach Feierabend günstige Anschlüsse im öffentlichen Nahverkehr haben. Mit Jobtickets können Unternehmen einen Anreiz schaffen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.

Wegeunfälle werden vermieden, wenn kein oder wenig Zeitdruck herrscht. Das heißt: Zwischen zwei Terminen sollte es einen realistischen Puffer geben. Das verhindert, dass Angestellte rasen müssen, um einen Kundentermin pünktlich zu erreichen.

Um Wegeunfälle zu reduzieren, muss Verkehrssicherheit ein präsentes Thema im Unternehmen sein. Aktionstage wie der Tag der Verkehrssicherheit am dritten Samstag im Juni oder der Weltfahrradtag am 3. Juni sind gute Aufhänger, um im Betrieb eine Infoaktion zum Thema Wegeunfälle zu machen. Dafür können Unternehmen auf zahlreiche Medien der BG ETEM zur Verkehrssicherheit zurückgreifen (siehe Kasten).

Wegeunfälle verhindern helfen kann zudem eine Führungskultur, in der Vorgesetzte ein Auge zudrücken, wenn Mitarbeitende wegen Verkehrsstaus oder schlechter Witterung zu spät kommen. So setzen sich Beschäftigte nicht unnötigen Risiken aus, um eine Verspätung zu vermeiden. Führungskräfte sollten sich auch im Straßenverkehr ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Dazu gehört, dass sie auf dem Rad einen Fahrradhelm tragen.

Generell sollten im Unternehmen Umsicht und Rücksichtnahme im Straßenverkehr wertgeschätzt werden. Das heißt unter anderem, nicht immer auf sein Recht zu pochen, sondern in einer gefährlichen Situation auch einmal nachzugeben. Schließlich ist keine Vorfahrtsregelung es wert, Leben und Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Fahrradfahrende sind besonders verletzlich

Noch immer nutzen rund zwei Drittel aller Deutschen das Auto, um zur Arbeit zu kommen. Aber das Fahrrad holt auf. Der Anteil der Wege, die mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden, ist laut Bundesverkehrsministerium von 2002 bis 2017 von neun auf elf Prozent angestiegen. In deutschen Metropolen sogar auf 15 Prozent. Gleichzeitig ist aber leider auch die Zahl der Wege- und Dienstunfälle mit dem Fahrrad gestiegen. Im Jahr 2019 betrug ihr Anteil 37,9 Prozent am gesamten Unfallgeschehen der BG ETEM. Insgesamt waren 4.451 Versicherte betroffen. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 waren es mit 3.104 Unfällen erst knapp 30 Prozent.

Was Unternehmen für Fahrradfahrende tun können

Unternehmen können versuchen, die Zahl der Wegeunfälle mit dem Fahrrad mit einem Fahrtraining der BG ETEM zu reduzieren. Die eintägigen Trainings werden von geschulten Moderatoren des Deutschen Verkehrssicherheitsrats geleitet. Sie bestehen aus einem Theorie- sowie einem Praxisteil, der auf dem Betriebsgelände durchgeführt werden kann. Von der BG ETEM werden je Mitgliedsunternehmen die Kosten für einen Trainingstag pro Jahr übernommen.

Die Grafik zeigt mehrere Kreise mit Vorschlägen, was Führungskräfte für die Verkehrssicherheit im Betrieb und die Unfallprävention tun können.

Bewusstsein für Vekehrssicherheit: Führungskräfte können im Firmenumfeld viel tun, um Wegeunfälle zu reduzieren.

Sicher fährt man nur mit einem intakten Fahrrad. Betriebe können das unterstützen, indem sie einmal im Jahr mobile Fahrradwerkstätten engagieren, die Checks und kleinere Reparaturen vornehmen. Außerdem sorgen überdachte Fahrradparkplätze auf dem Betriebsgelände dafür, dass Räder länger in einem guten Zustand bleiben. Und wer noch nach einem guten Geschenk für die Mitarbeitenden sucht: Wie wäre es denn mit Warnwesten oder einem Zuschuss zum Fahrradhelm?